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Bis jedes Detail sitzt: «Der Mann von La Mancha» nach Oliver Tambosi

Olivier Tambosi (mit Textbuch in der Hand) erteilt dem Bühnenpersonal genaue Anweisungen. Quelle: Peter Samuel Jaggi

Bis jedes Detail sitzt: «Der Mann von La Mancha» nach Oliver Tambosi

Am 5. August feiert das Musical «Der Mann von La Mancha» im Passionsspielhaus Selzach Premiere. Doch bereits heute ist ein erster Einblick möglich.

«Seid ihr bereit, sind alle da?», fragt Regisseur Olivier Tambosi in die Runde. Er steht mitten auf der Bühne des Passionsspielhauses in Selzach. Um ihn herum formen Sängerinnen, Sänger und weitere Mitglieder des Bühnenpersonals einen Halbkreis. Es ist bereits 10:10 Uhr. Die Probe des Musicals «Der Mann von La Mancha» hätte längst beginnen sollen. Aber eben: Zuerst musste noch die letzte Textnachricht ins Handy getippt, der Kaffeebecher geleert und das Gipfeli gegessen werden. Jemand setzt eiligst eine Mütze auf den Kopf. Die anderen Teile des Kostüms bleiben auf einem Stuhl im Zuschauerraum liegen. Andere geben sich sommerlich locker: T-Shirt, kurze Hosen und Sneakers. Es dauert ja noch zehn Tage bis zur Premiere. 

Eine klangliche Einheit

Theaterproben beginnen oft mit Warten: Bis die Spots wie gewünscht leuchten, bis die Bühnenelemente so platziert sind, wie vom Regisseur gewünscht. Damien Liger, der für die Choreographie zuständig ist, nutzt die Wartezeit für ein paar Dehnungsübungen. Ein Techniker und der Betriebsleiter besprechen derweil ein Detail der Show. «Der Komponist Mitch Leigh wollte das so.»
Iwan Wassilevski, Dirigent
Schon lange an seinem Platz ist Iwan Wassilevski. Der Dirigent steht nicht wie sonst üblich im Orchestergraben vor der Bühne. Das Orchester und sein Leiter sind bei diesem Musical auf der hinteren Bühnenhälfte platziert. «Der Komponist Mitch Leigh wollte das so.» Der Vorteil: Das Publikum erlebt das Geschehen auf der vorderen Bühnenhälfte sozusagen hautnah mit. Weil das Gesangsensemble und Orchester auf derselben Ebene agieren, können sie sich besser verzahnen. Sie bilden eine klangliche Einheit. 

Vor dem Dirigenten stehen schwarze Notenpulte. Darauf liegen leere weisse Blätter anstelle von Noten. Die Musikerinnen und Musiker sind nämlich noch nicht da. Das Orchester wird erst Ende Woche auf der Bühne Platz nehmen. Der musikalische Leiter des Musicals ist trotzdem gefordert. Er dirigiert den Pianisten, der neben ihm sitzt und die Orchesterstellen spielt. Und er hat steten Blickkontakt zu den Darstellerinnen und Darstellern und zum Regisseur, die auf der vorderen Bühnenhälfte stehen. «Die Posaunen müssen an dieser Stelle sofort einsetzen», sagt Olivier Tambosi. Iwan Wassilevski notiert sich das in seine Partitur.

Grosse Bühnenproduktionen haben in Selzach eine lange Tradition. Seit 30 Jahren gibt es im denkmalgeschützten Passionsspielhaus Opernaufführungen. Davor wurde das Gebäude für Passionsspiele genutzt. Dieses Jahr ist im historischen Holzbau erstmals ein Musical zu hören. Weshalb wurde «Der Mann von La Mancha» von Dale Wasserman und Mitch Leigh ausgewählt? «Es passt hervorragend in das Gebäude», sagt der Dirigent, der bei der Wahl des Musicals mitentscheiden konnte. Der religiöse Kontext spiele beim Passionsspielhaus wie im Musical eine wichtige Rolle. Das Stück, das auf «Don Quixote» von Miguel de Cervantes zurückgeht, spielt in Spanien im 16. Jahrhundert während der Zeit der Inquisition. «Es sind Säulen der Macht.»
Olivier Tambosi, Regisseur
Ort der Handlung ist ein Gefängnis, wo Miguel de Cervantes und sein Diener inmitten von Räubern, Dieben und Prostituierten einsitzen und wegen Gotteslästerung auf ihr Urteil warten. Ausstatter Oskar Fluri beschönigt nichts. Die meterhohen metallenen Gefängnistürme auf der Bühne geben ein beklemmendes Bild ab. «Es sind Säulen der Macht», sagt Olivier Tambosi.  Trotzdem ist der Broadway-Klassiker kein Stück von Traurigkeit. Die positive Lebenseinstellung von Cervantes schlägt sich auch im Musical nieder. «Die Musik ist sehr Rhythmus-betont», sagt der musikalische Leiter. Für reichliches spanisches Kolorit ist auch gesorgt: Sie enthält charakteristische spanische Tänze wie Paso doble oder Bolero. Im Orchester spielen ausser einem Kontrabass keine Streichinstrumente, dafür viele Bläser, zwei Gitarren und drei Schlagzeuger. Letztere lassen auch Kastagnetten klappern. 

Ein Musical voller Hits

Der Bieler Iwan Wassilevski ist ein erfahrener Musical-Dirigent. Seit 2003 ist er Künstlerischer Leiter der Thunerseespiele, wo er mehrere grosse Musicals dirigiert hat, darunter auch drei Uraufführungen. Nächstes Jahr feiert er dort sein 20-Jahr-Jubiläum mit dem «Dällebach Kari». Das Musical «Der Mann von La Mancha» sei für ihn trotzdem eine besondere Herausforderung gewesen. «Das Textbuch ist äusserst vielschichtig», sagt er. Darin geht es nicht nur um die Geschichte des Don Quixote, sondern auch um die seines Autors Miguel de Cervantes. Schliesslich ist der berühmte Schriftsteller mehrmals im Gefängnis eingesessen.  «Harmonisch und melodisch erinnert sie an Hindemith und Strawinsky.»

Iwan Wassilevski, DirigentAuch die Musik von Mitch Leigh würde so gar nicht in das Musical-Klischee passen. «Harmonisch und melodisch erinnert sie an Hindemith und Strawinsky.» Sie stütze musikalisch das Geschehen auf der Bühne und treibe es mit ihren ausgeprägten Rhythmen voran. Ein Musical lebt auch von seinen Hits. Der vielleicht berühmteste daraus ist «The Impossible Dream». Von Elvis Presley, Frank Sinatra über Placido Domingo bis Susan Boyle: Alle haben sie diese Sehnsucht nach dem Unmöglichen besungen. Don Quixote alias Miguel de Cervantes träumt im Stück nämlich von einem Leben als stolzer Ritter, der das Unrecht der Welt bekämpft und sein Glück in der Vereinigung mit der Edeldame Dulcinea findet. 

«Ihr müsst die Boxen so halten, dass der Spiegel nach unten zeigt», weist Regisseur Olivier Tambosi das Bühnenpersonal an. «Und dann müsst ihr euch um den Don Quixote im Kreis herumbewegen.» Das ist gar nicht so einfach. Die grauen Boxen sind sperrig und lassen sich mit verschwitzten Händen nur schlecht halten. Schliesslich klappt die Szene. Es ist eine Schlüsselstelle gegen Schluss des Musicals. Bei den Worten «Was siehst du im Spiegel?» richten alle die Seite der Box mit dem Spiegel gegen den in der Mitte stehenden «Ritter von der traurigen Gestalt», wie Don Quixote auch genannt wird. Erst jetzt wird der vermeintlich heldenhafte Ritter erkennen, dass er nicht der ist, von dem er träumt, sondern nur ein alter müder Mann. «Der Mann von La Mancha», so heisst es auf der Website der Sommeroper Selzach, sei auch «ein berührendes Plädoyer für die fantastische Welt des Theaters.»

Info: Heute Mittwoch findet im Passionsspielhaus Selzach um 19:00 Uhr eine öffentliche Probe statt. Dauer der Veranstaltung: Zirka eine Stunde.

© 2022 ajouer.ch, 27.07.2022, Text by Annelise Alder.

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