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Sommeroper Selzach – „Der Mann von La Mancha“, 5. August (Premiere)

Michael Heller, Christian Manuel Oliveira, Christiane Boesiger. Copyright: Sommeroper Selzach

Sommeroper Selzach – „Der Mann von La Mancha“, 5. August (Premiere)

Zwischen 1885 und 1972 wurden in Selzach, ein kleiner Ort am Fuße des Jura und ungefähr auf halbem Weg zwischen Solothurn und Biel gelegen, Passionsspiele abgehalten. Dann stand das dem Passionsspielhaus von Oberammergau nachempfundene Gebäude leer und wurde unterschiedlich genutzt, ehe vor mehr als 30 Jahren die Sommeroper Selzach hier Einzug hielt. In diesem Sommer, exakt 50 Jahre nach dem letzten Passionsspiel steht mit „Der Mann von La Mancha“ erstmals ein Musical am Spielplan und mit diesem Werk soll einerseits an die Tradition erinnert und gleichzeitig ein Kreis geschlossen werden, so der Produktionsleiter René Gehri im Gespräch mit dem Schreiber dieser Zeilen. Und so stehen auch Requisiten aus der geplanten und Corona zum Opfer gefallenen Produktion von Verdis „Don Carlo“ vor dem Festspielhaus und zeichnen den Bogen von der Inquisition zur Gegenwart.

Miguel de Cervantes Saavedra (1547-1616) gilt als Spaniens Nationaldichter, sein Hauptwerk „Don Quijote“ ist die literarische Vorlage für unter anderem Massenets Oper „Don Quichotte“ (stand vor ein paar Jahren als Hausoper am Spielplan der Bregenzer Festspiele) und des Musicals „Der Mann von La Mancha“. Das Musical wiederum hat seine Wurzeln in dem 1959 produzierten Fernsehstück „I, Don Quixote“ von Dale Wasserman. Zur Musik von Mitch Leigh verfasste Wasserman auch das Libretto, die Gesangstexte dazu schrieb Joe Darion. Das 1965 uraufgeführte Musical wurde 1966 mit fünf Tony Awards ausgezeichnet und ist bis heute eines der folgreichsten Werke dieses Genres.

Mit dem Engagement des Regisseurs Olivier Tambosi, der das Werk vor ein paar Jahren schon an der Wiener Volksoper inszeniert hatte, ist den Verantwortlichen der Sommeroper Selzach ein Coup gelungen, den vergleichbare Sommerfestivals erst einmal nachmachen müssen. Gemeinsam mit dem Choreographen Damien Liger, dem langjährigen Ausstatter Oskar Fluri und dem für die Beleuchtung verantwortlichen Sigi Salke gelingt Tambosi eine fesselnde zeitgemäße wie werktreue Interpretation des Stoffes auf hohem Niveau. Dass bei der Auswahl der Darsteller, zumeist musicalerprobte Singschauspieler, vor allem auch auf Ausdruck und Austrahlung geachtet wurde, verleiht der Produktion noch zusätzliche Spannung.

Verschiebbare Gittersäulen dominieren die Bühne, die nach Bedarf als Gefängniszellen oder zur Veränderung der Dimension der Spielfläche Verwendung finden. Silbrig schimmernde Kisten, entfernt an Tresore erinnernd, können universell eingesetzt werden. Aus einem Übersiedlungskarton werden jene Kostümteile entnommen, die die Gefangenen zu Mitspielern des Verteidigungsspiels des gefangenen Miguel Cervantes machen. Ein berührendes Plädoyer für die fantastische Welt des Theaters, wie es vom Produktionsteam bezeichnet wird. Die Spielfläche reicht bis an den Rand des ansteigenden Zuschauerraumes (der damit gute Sicht von allen Plätzen bietet), das gut disponierte Orchester unter der Leitung von Iwan Wassilevski, ist erhöht hinter der Bühne platziert.

Die singenden Schauspieler, oder auch die schauspielenden Sänger, sind durch die Bank bestens disponiert und mit sichtlicher Begeisterung dabei. Mit Berechtigung nennt das Programmheft daher die Namen aller Mitwirkenden bis hin zu den Statisten. Und diesem Ensemble gebührt ohne Wenn und Aber ein Pauschallob (Chorleitung: Valentin Vassilev). Es ist unmöglich, aus der Gruppe der Gefangenen oder des nahezu solistisch agierenden Chores einen Namen gesondert hervor zu heben; das würde alle anderen Personen unverdient eine Stufe zurück setzen.

Mehr als bloß rollendeckend besetzt sind die Partien jener Gefangenen, die im Spiel, der Verteidigung von Cervantes, mit Rollen bedacht werden. Und auch bei ihnen ist es nahezu unmöglich, eine wertende Reihung zu nennen. Also so, wie sie im Programmheft angeführt sind. Der Gouverneur und gespielte Gastwirt heißt mit bürgerlichem Namen Marco Canadea und überzeugt in jeder Minute; Konstantin Nazlamov mutiert vom einfachen Gefangenen zu einem Padre mit Potential zu den Höheren Weihen; André Willmund gibt einen brutalen Duke und ist im Spiel ein hinterhältiger Dr.Carrasco; ein weiterer Gefangener ist Adrian Burri, der auch Pedro und den Barbier spielt; eine Klasse für sich ist Christoph Wettstein als Haushälterin mit Polsterbusen. Als einzige Gefangene ist die im Spiel die Antonia gebende Sängerin mit einem kleinen Solo bedacht, das Eva Herger gekonnt bringt. Ein Sonderlob verdient Luis Carillo, der mit seiner Gitarre den gesamten Abend mitträgt.

Im Mittelpunkt des Stückes stehen der erfundene und sich als Ritter fühlende alte Edelmann Don Quixote, sein Freund und Diener Sancho und die im originalen Roman als Traumfigur nie erscheinende Aldonza, genannt Dulcinea. Auf der selzacher Bühne sind in diesen Rollen Christian Manuel Oliveira (Don Quixote/Cervantes), Michael Heller (Sancho) und Christiane Boesiger (Aldonza/Dulcinea) zu sehen, zu hören und vor allem zu erleben. Der aus Wien seit 2010 zu jeder Produktion angereiste Gast ist glücklich, nicht in die Fußstapfen des antiken Paris treten zu müssen, um einen Preis zu überreichen. Unfair wäre der Vergleich mit der legendären Besetzung im Theater an der Wien vor zig Jahren, und dennoch – niemand aus diesem Trio bräuchte den Vergleich zu scheuen. Mit dem Don Quixote hat Christian Manuel Oliveira eine Rolle gefunden, die ihm auf den Leib und für seine Stimme geschrieben sein könnte; da passt einfach alles. Michael Heller erinnert mit ausgestopftem Bauch und umgehängten Schnurrbart beinahe an eine Kopie des Regisseurs, der im Hintergrund die Fäden zieht – und das ist durchaus als Kompliment zu verstehen. Und Christiane Boesiger, als Opernsängerin auch in Wien nicht unbekannt, gelingt der Wechsel von der ordinären Küchenmagd und Dirne zur Dame Dulcinea in Spiel und Stimme überzeugend.

Nach kurzweiligen zweieinhalb Stunden (inklusive einer Pause) jubelte das Publikum in lautstarker Begeisterung, nachdem die Besucher schon immer wieder eifrig Szenenapplaus gespendet hatten. Den Bewohnern von Selzach und der näheren (und auch weiteren) Umgebung ist der Besuch dieses „Mann von La Mancha“ unbedingt empfohlen. Und sollte es außerhalb der Schweiz kulturinteressierte Menschen geben, deren nächste Wochen noch nicht verplant sind, könnten auch diese einen (zugegeben etwas weiteren) Kulturausflug andenken.

© 2022 onlinemerker.com, 06.08.2022.

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